Von Zeit, Strass und Weinbergschnecken
„Warum habt ihr das nicht schon früher gemacht?“ – Die Frage von Trainerin Jenni ist berechtigt. Zeit ist so eine Sache, wenn man vor einem großen Ereignis steht. Entweder vergeht sie wie im Flug, oder sie kommt einem vor wie eine große Weinbergschnecke, die ganz langsam voran kriecht.
Beim B-Team des Club Saltatio Hamburg war am Tag der Präsentation im Forum Gymnasium Rahlstedt definitiv beides der Fall…
Früh morgens klingelte der Wecker und riss den einen oder anderen Tänzer vielleicht etwas unsanft aus dem Schlaf. Doch die Müdigkeit verflog schnell, denn es ging an die Vorbereitungen für den ersten Auftritt vor Publikum, und da musste der Zeitplan schließlich eingehalten werden. Pünktlich um 8:30 Uhr trafen sich die Mädels der Formation bei Jessy, einer unverzichtbaren Helferfee, wo die Haut nach und nach immer brauner wurde und die Haare immer schwärzer. Schließlich standen nach ausgiebigem Frühstück, weit spritzenden Schuhcremetuben, fleckigem Make-Up und korrigierten Scheiteln um kurz vor 11 Uhr sechs fast identisch aussehende Damen voreinander.
Auch die Herren des Teams übten sich währenddessen im Haare machen. Sie starteten um 8.45 Uhr bei Philipp, einem der Tänzer, zuhause. Sie gelten, zogen Scheitel und schnitten kurzerhand Marcel, nach einigen fehlgeschlagenen Kämmkonstruktionen, mit einer Küchenschere die Haare kürzer. Schnipp Schnapp - Haare ab.
„Ihr seht ja anders aus!“, ist die erste Begrüßung beim Zusammentreffen des Teams in der Umkleidekabine im Forum und tatsächlich ist der ein oder andere der Mannschaft kaum wiederzuerkennen - Typveränderung pur.
12.00 Uhr – Aufwärmen, 12.30 Uhr – Stellprobe: Die Zeit ist knapp bemessen, der Countdown läuft.
„Der Basketballkorb vorne und hinten in der Mitte ist die Null. Die äußersten Kanten der Bänke sind jeweils die Fünf, und die inneren Kanten die Eins. Die äußere schwarze Linie vom kleinen Basketballkorb ist die Drei. Merkt euch das!“ Wie im Entenmarsch liefen die Tänzer des B-Teams Trainer Jan hinterher, schaute sich um, begutachteten besagte Stellen und versuchten nicht den Anschluss zu verpassen.
Langsam stieg die Aufregung und die beiden Stellprobendurchgänge des B-Teams liefen zwar nicht ganz reibungslos, aber dennoch relativ ordentlich. Die anschließende Videobesprechung mit den Trainern kurbelte den Ehrgeiz des Teams an, und zurück in der Umkleide verwandelte sich schließlich der Zeitdruck, der bis zu diesem Zeitpunkt geherrscht hatte, in Zeitstress. Haare wurden drapiert, Strass geklebt, Augen geschminkt, und zwischendurch blieb kaum einmal Zeit Luft zu holen. Es herrschte wildes Gewusel zwischen Umkleidekabine, Flur und Spiegel, und nicht selten suchte jemand seine Utensilien oder Schuhe.
Aus Frauen wurden Damen, aus Männern Herren. Manch einer der Jungs sah mit schwarz umrahmten Augen und Wimpertusche aus, wie ein kleiner Vampir. Als dann entdeckt wurde, dass aufgrund eines Spiegelirrtums Marcel den Scheitel auf der falschen Seite seines Kopfes gezogen bekommen hatte, wurde rasend schnell gehandelt und ohne Zögern sein Kopf unter die Dusche gesteckt. Wäre er eine Spielfigur bei Monopoly gewesen, hätte es geheißen: „Sie haben den zweiten Platz in einer Schönheitskonkurrenz gewonnen.“ – das B-Team wollte den Ersten und frisierte Marcel nochmal komplett um, mit dem Scheitel auf der richtigen Seite.
Kurz bevor die Präsentation der Formationen los ging, herrschte Zeitnot überall. In Hoch-geschwindigkeit wurde Haut noch gebräunt, letzte Kleider angezogen und Gesichter abgepudert. Die Frage: „Warum habt ihr das nicht schon früher gemacht?“ lang nicht nur Jenni auf der Zunge, sondern beschäftigte auch einige der Tänzer. Wo waren nur die vielen Stunden Zeit geblieben, die am Anfang des Tages noch vorhanden gewesen waren? Zum mentalen Durchgang saßen schließlich zwölf fertige Tänzerinnen und Tänzer in der Umkleidekabine bei geschlossener Tür beisammen, hielten sich an den Händen und lauschten mit geschlossenen Augen der Dreamworlds-Musik. Hier und da ein Zucken des Arms oder des Kopfes, ansonsten absolute Stille und Regungslosigkeit. Ein letzter Moment der Ruhe vor dem Start – und los geht’s!
Das B-Team begann mit dem Durchmarsch der Formationen. Unter viel Applaus betraten die Tänzer zum zweiten Mal an diesem Tag die Halle, und liefen Jenni im Gleichschritt und mit einem Lächeln im Gesicht der Größe nach aufgereiht hinterher. Das Publikum klatschte und der Moment im Scheinwerferlicht ging viel zu schnell vorbei. Dann kam der erste Durchgang: In Reihe und Glied aufgestellt wurden Menthol-Zuckerwürfel verteilt und viel Glück gewünscht. Man konnte deutlich die Aufregung und Spannung merken, die vom Team ausging, jedoch gleichzeitig auch die Vorfreude aller spüren. Schließlich gingen die Türen auf und das Publikum wartete mit gespannter Stille auf die erste Darbietung des B-Teams, das sich wie eingeübt auf der Tanzfläche aufstellte. Dann ging es los: Klack Klack. Unter Adrenalin geschehen bekanntlich ganz erstaunliche Sachen, so auch in dem Moment des ersten Durchgangs: Wie in Zeitlupe spielte sich die Musik ab und trotzdem kam es manchen Tänzern so vor, als wäre der Auftritt bereits nach ein paar Wimpernschlägen vorbei.
Beim Sammeln und Restaurieren in der Umkleide nach dem ersten Tanzen konnte man in strahlende, schwitzende Gesichter blicken und Sätze hören wie „Ich will nochmal!“ oder „Das hat richtig Bock gemacht“. Der zweite Durchgang lief mit deutlich weniger Aufregung ebenfalls gut und die Anfeuerungsrufe vom Publikum ließen Herren noch gerader und Damen noch besser im Arm stehen. Jenni stellte das ganze Team den Zuschauern vor und benannte die einzelnen Tanzpaare: Tobi und Caro, Timo und Aileen, Andre und Kathi, Marcel und Jasmin, Philipp und Madeleine, und Felix und Laureen. Nach abschließendem Applaus wurde das Team von Jan mit den Worten „Ihr seid ja solche A...is, ihr habt die Diagonale sonst noch nie so gut gestellt“ im hinteren Teil der Halle begrüßt und die glücklichen Tänzer lagen sich geschafft in den Armen.
Nach erneutem Aufmarsch und viel Fotokamerageblitze gab es viel Lob von den Familien und Freunden an die Mannschaft und die Trainer, und weitere Fotoapparate wurden gezückt. Der schöne und auch anstrengende Tag endete für das B-Team gemeinsam mit dem A-Team in einem gemütlichen Restaurant, wo viel geredet, gelacht und gegessen wurde. Kein Magen blieb leer und nach viel geteilter Freude verabschiedeten sich müde Gesichter nach Hause, um die Schuhcreme aus den Haaren zu waschen.
In Erinnerung bleiben den Tänzerinnen und Tänzern des B-Teams vom Tag der Präsentation viele lustige und spannende Momente, das Gefühl von Teamzugehörigkeit, schweißtreibende Durchgänge, Dankbarkeit gegenüber den Trainern und Helfern, glitzernde Strasssteine, ein strahlendes und applaudierendes Publikum, Motivation für kommende Turniere, Stolz etwas erreicht zu haben und eine Speisekarte, die sogar Weinbergschnecken anbietet.